Partie II - TémoignagesZeugnisse

Szondis Abwesenheit – Studieren am Hüttenweg[Notice]

  • Maria Zinfert

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  • Maria Zinfert
    Université de Montréal

Peter Szondi war 1965 an die Freie Universität im damaligen Westberlin berufen worden und 1966 erfolgte die Gründung seines Instituts für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Zunächst tatsächlich ein Ein-Mann-Betrieb, dem „ein kleineres Haus in der Halbdistanz zu den großen Seminaren der Fakultät […],“ zugewiesen wurde, „der Kiebitzweg 23“, wie Eberhard Lämmert sich erinnert, „eine Adresse, die in Paris und in Zürich, aber auch in Frankfurt am Main und an der Ostküste der USA bald für ein Markenzeichen stand“ (Lämmert 1996). Nach vierjähriger Zwischenstation auf der Rheinbabenallee bezog das Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft 1983 eine neu-sachliche Villa am Hüttenweg, wo es über zwei Jahrzehnte lang seinen Sitz haben sollte. Mit dem − nach langem Widerstand unabwendbar gewordenen – Umzug in die sogenannte Rostlaube, d.h. in den Gebäudekomplex der Philologien und der Geistes- und Sozialwissenschaften auf der Habelschwerdter Allee, der in das Jahr des 75. Geburtstags von Szondi fiel, wurde das Institut umbenannt. Seit 2004 trägt es den Namen seines ersten Professors, Peter Szondi. Grundlage meines Beitrags sind eigene Erinnerungen an meine Zeit – lange nach Szondis Tod – als Magister-Studentin und Doktorandin am Hüttenweg. Außerdem beziehe ich mich auf Erinnerungen und Einschätzungen von Szondis Mitstreiter Eberhard Lämmert (1924−2015) und von Szondis Schüler Gert Mattenklott (1942−2009). Nacheinander und auch miteinander lenkten diese beiden über viele Jahre die Geschicke des Instituts. Als Studentin saß ich in Seminaren von Eberhard Lämmert. Gert Mattenklott war mein Doktorvater. Außerdem werde ich Bezug nehmen auf den Traktat „Über philologische Erkenntnis“ von Peter Szondi. Das geschieht in der Überzeugung, dass die darin formulierten methodischen und theoretischen Positionen Jahre über seinen Tod hinaus, noch während meiner Zeit als Studentin am Hüttenweg, das Studium maßgeblich geprägt haben. Eine zentrale Rolle dabei spielte die von Szondi geforderte „Versenkung in die Werke“: Wenn Erkenntnis in der Literaturwissenschaft auf einer „Versenkung in die Werke“ fußt (in die Werke als solche und zugleich in die „»die Logik ihres Produziertseins«“), muss das Studium dieser Wissenschaft grundsätzlich das Vermögen zu einer „Versenkung in die Werke“ vermitteln. Und Versenkung kann in diesem Zusammenhang nichts anderes heißen als genaues, konzentriertes, eingehendes Lesen. Mit Versenkung ist hier also ein kundiges Lesen der literarischen Werke gemeint. Ein solches Lesen ist im Studium einzuüben. So trivial das klingen mag: Die Fähigkeit Literatur zu lesen bildet die Grundlage der Literaturwissenschaft. Studieren am Hüttenweg hieß daher nicht zuletzt auch ideale Bedingungen zum Lesen vorzufinden. Mein Beitrag umfasst drei Teile: Lesen: Die Bibliothek Lesen: Sprache, Sprachen, Übersetzen Lesen: Anmerkungen zur „Leseliste des Seminars für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft“ (1971) Das Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft war mehr als zwei Jahrzehnte lang – weiterhin in einiger Distanz zu den großen Instituten – am Hüttenweg in einer 1930 erbauten eher schlichten Villa untergebracht. Auf dem umgebenden Grundstück befand sich der sogenannte Schnellbau, eine Art Container, in dem sämtliche Seminare, Disputationen und Gastvorträge stattfanden, entweder im kleinen Seminarraum oder im großen Seminarraum. Außerdem waren im Schnellbau Büros untergebracht, weitere Büros sowie das Instituts-Sekretariat befanden sich im Haupthaus. Dessen ehemalige Wohnräume der ersten Etage und der sich anschließende Wintergarten beherbergten unsere Bibliothek, die sich mit ihren vielfältigen und frei zugänglichen Beständen bis in die Kellerräume ausdehnte. Zwar gewiss aus anderen Gründen, aber dennoch fühlten auch wir uns als „Miteigentümer und Mitverwalter des hier verfügbaren Wissens“, wie Lämmert es für die ersten Studienjahrgänge am Kiebitzweg konstatiert. Und sicher habe nicht nur ich mit einem der kostbareren Bücher in der Hand bisweilen daran gedacht, wie diese Bibliothek, die durch ihren „einzigartigen Zuschnitt“ zur geistigen Anziehungskraft des Instituts beitrug, ursprünglich „mit besonderer Kennerschaft zusammengestellt“ worden war. Wie wir wussten, hatte Szondi mit seinen Schülern und …

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