Grenzgang als zögernde Wieder-AnnäherungDie deutsche Staatsbürgerschaft und der jüdisch-deutsche Dialog[Notice]

  • Sabine von Mering

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Wer von Juden und dem heutigen Deutschland spricht, spricht in der Regel von den Juden, die selbst oder deren Eltern in den letzten zwanzig Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion im Rahmen des „Kontingentflüchtlingsgesetzes“ nach Deutschland gekommen sind. Über 190,000 russische Juden sind laut Jeffrey Peck zwischen 1989 und 2005 nach Deutschland emigriert, und die wirkliche Zahl mag noch höher liegen, denn viele wurden nicht Mitglied in der offiziellen jüdischen Gemeinde und blieben daher ungezählt. Schätzungen liegen bei 200,000 bis 250,000. Diese jüngste russisch-jüdische Immigration nach Deutschland ist bereits vielfach untersucht worden. Eine Reihe von Veröffentlichungen z.B. des Moses-Mendelssohn-Zentrums in Potsdam und des Kollegiums für Jüdische Studien an der Humboldt-Universität beschäftigen sich mit den soziologischen, politischen und religiösen Hintergründen dieser transnationalen Gruppierung. Auch diese Grenzgänger mögen ihren Schritt zunächst zögerlich nach Deutschland gewandt haben. Doch handelte es sich bei ihrem Grenzgang nicht um eine Rückkehr. Sie trugen keine Erinnerungen an ein früheres Deutschland mit sich und mussten nicht nachweisen, dass ihnen ihre deutsche Staatsbürgerschaft im Dritten Reich aberkannt worden war. Eine deutsche Abstammung war nicht Bedingung für die Einwanderung. Jeffrey Peck schreibt über die Immigranten sie seien „proud Russians as well as Jews,“ von denen viele ihre Loyalität zum alten Heimatland mit den militärischen Auszeichnungen demonstrieren, die sie als Rotarmisten im Kampf gegen die Wehrmacht erwarben. Dass sie aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland und nicht nach Israel oder Amerika auswanderten, müssen sie vor Israelis und Amerikanern oft rechtfertigen — wie ein Interviewpartner Peck erklärt: „They [American Jews] keep asking me why I want to live here, but Germany does not mean fascism for me and America is not so great.“ Sie begründen ihre Einwanderung nach Deutschland u.a. mit dem Hinweis darauf, dass Deutschland ihnen einfach geographisch und vielleicht auch ideologisch näher liegt. Peck: „Many choose to live in Germany, sometimes selecting it over Israel or the United States, because in Eastern Europe Germany is seen as a major economic powerhouse and a land of economic opportunity. Some like its proximity to Russia and its familiar European heritage and others prefer Germany because it is presumed safer and more secure than Israel.” Im Gegensatz zu den neuen Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion ist das Verhältnis amerikanischer Juden zu Deutschland nach wie vor stark von der Erfahrung der Verfolgung geprägt. Dennoch beginnt sich auch in jüdischen Kreisen in den USA ein neues Verhältnis zu Deutschland zu entwickeln. Die „zögernden Grenzgänger“ deren Verhalten im Folgenden beleuchtet wird, sind amerikanische Juden deutscher Herkunft, die sich in jüngster Zeit häufiger entscheiden, nach Deutschland zu reisen und in einigen Fällen sogar die deutsche Staatsbürgerschaft wieder anzunehmen. Was motiviert sie, diesen Schritt zu tun? Wie verhandeln die Familien untereinander ihre Beziehung zu Deutschland? Was beeinflusst ihre Entscheidungen? Um einige Antworten vorwegzunehmen: Die Generationenunterschiede liegen auf der Hand. Während die Überlebenden selbst nach wie vor mit dem Trauma der Verfolgung kämpfen und in den seltensten Fällen eine Rückkehr nach Deutschland ernsthaft in Erwägung ziehen, sehen die von der Wirtschaftskrise in den USA besonders hart getroffenen Jüngsten der Enkelgeneration das vereinigte Deutschland im vereinten Europa, mit EU-Reisepass und Arbeitserlaubnis, ähnlich wie ihre Religionsgenossen aus St. Petersburg oder Tel Aviv als attraktive potentielle Alternative. Sie sehen in Deutschland und Europa vor allem hohe Lebensqualität. Dazu zählen die meist guten öffentlichen Verkehrsmittel, ein reiches Kultur- und Sozialleben, angenehm geringe Distanzen (im Gegensatz zu den USA) zwischen vielen interessanten Städten und Ländern in Europa. Auch wenn sie als kleinste Minorität in den USA oft selbst Erfahrung mit Antisemitismus gemacht haben, ist ihr Deutschlandbild nicht in erster Linie vom Antisemitismus geprägt. Deutsche Organisationen wie die Goethe-Institute, die Konsulate, der DAAD, auch deutsche Wirtschaftsunternehmen …

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