So lautet die letzte Strophe des fünften Gedichts aus dem Gedichtzyklus Ingeborg Bachmanns „Von einem Land, einem Fluss und den Seen,“ den ihr 1956 veröffentlichter zweiter Gedichtband Anrufung des Großen Bären enthält. Es handelt sich bei diesem Gedichtzyklus um eine Landschaftsbeschreibung, nämlich um die Beschreibung ihrer eigenen Heimat Kärnten, und gerade diese Strophe ist für ein Verständnis der Dichterin von besonderer Bedeutung, denn zwei Einsichten von ihr sind hier wahrzunehmen: Zum einen stellen „Grenzen“ zwar anscheinend einen geografischen und physischen Begriff dar, doch die ersten beiden Verse, insbesondere der zweite, zeigen, dass zwischen „Grenzen“ und „Wort,“ nämlich sprachlichen Ausdrucksmitteln, eine enge Verknüpfung besteht, und somit misst ihnen diese Verbindung zwischen zwei im Wesentlichen voneinander unabhängigen Dingen einen außergewöhnlichen Sinn bei; zum anderen stehen „Grenzen,“ was die zweite Hälfte der Strophe expliziert, im Mittelpunkt zwischen der beschädigten Heimat der Gegenwart und einem ersehnten Ort, zu dem man bloß dadurch gelangt, dass man die Grenzen überschreitet. Eben in diesem Zusammenhang wohnt ihnen eine spezifische Bedeutung inne. Der zweimalige Gebrauch von „jede“ – „jedes Wort“ und „jedem Ort“ – verdeutlicht darüber hinaus keine Willkür, sondern vielmehr Zuversicht und Bestimmtheit. Aufschluss über die Frage nach dem Mittel, mit dem diese Grenzen überschritten werden können, gibt Bachmann in der letzten Strophe des achten Gedichts: Während „Sprache“ sich offenbar auf das „Wort“ in den oben zitierten ersten zwei Versen bezieht, vertieft „Sein,“ dieser philosophisch so stark geprägte Terminus, den implizierten Sinn der anderen zwei Verse. Indem sie das reine Sein „der schönen Sprache“ gleichsetzt, deutet Bachmann auf eine weitere Denkdimension hin – ihr durch intensive Beschäftigung mit der Philosophie geprägtes Verständnis von Sein und Sprache. Bekanntlich hat Ingeborg Bachmann von 1945 bis 1950 an verschiedenen Universitäten wie Innsbruck, Graz und Wien Philosophie studiert und promovierte mit der Dissertation „Die kritische Aufnahme der Existenzialphilosophie Martin Heideggers.“ Danach befasste sie sich mit zunehmendem Interesse mit dem philosophischen Denken des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein. Dies dokumentieren ihre (Radio)-Essays „Ludwig Wittgenstein – Zu einem Kapitel der jüngsten Philosophiegeschichte“ (1953) und „Sagbares und Unsagbares – Die Philosophie Ludwig Wittgensteins“ (1954). Beide geben deutlich zu erkennen, wie tiefgreifend Bachmann von den philosophischen Gedanken Wittgensteins berührt und geprägt war, und in diesem Kontext lassen sich ihre Fragen nach den Grenzen der Sprache schlüssig klären. Mit Wittgenstein ist Ingeborg Bachmann der festen Überzeugung, dass die Sprache des Menschen, das Denken total widerspiegelt, wie Wittgenstein feststellt: „Die Sprache selbst ist das Vehikel des Denkens,“ die Welt einerseits nur darzustellen und abzubilden vermag, andererseits aber gerade bei dieser Darstellung und Abbildung der Welt ihre Beschränktheit erfährt, wobei „Grenzen“ im Zentrum stehen. Dies zeigen zwei Zitate aus den beiden Essays: Das erste stammt aus „Ludwig Wittgenstein – Zu einem Kapitel der jüngsten Philosophiegeschichte:“ Das zweite Zitat stammt aus dem Essay „Sagbares und Unsagbares – Die Philosophie Ludwig Wittgensteins:“ Erkennbar sind die dreifachen Verhältnisse, auf die die eingangs zitierten Strophen anspielen: Erstens kommt aufgrund der mehrfachen Definitionen von „Grenze,“ sei es im Sinne von „wir“ als metaphysisches Subjekt, sei es als „die logische Form,“ zum Ausdruck, dass sowohl das Subjekt, als auch das Denken und die Sprache ihre eigene Beschränktheit innehaben, während sich diese Beschränktheit, die „Grenze,“ eben durch sie herstellen lässt. Und gerade die mit solcher „Grenze“ dargestellte Welt ist als „Ganzes“ anzunehmen, was aber bei Ingeborg Bachmann große Unruhe stiftet, weil sie die Ansicht Wittgensteins teilt, dass diese Welt nur die Welt des Subjekts oder die Welt der subjektiven Wirklichkeit ist. Deswegen gilt: “Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.” Die Abhängigkeit der Grenzen von der Sprache liegt nahe. Zweitens: Eben von diesem Standpunkt ausgehend, dass sich das Denken und die Sprache bei der …
„Grenzt hier ein Wort an mich, so laß ich’s grenzen.“Das Überschreiten der Grenze zum ersehnten Ideal in den späteren Gedichten Ingeborg Bachmanns[Notice]
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Ma Jian
Zentrum für Deutschlandstudien, Peking-Universität
majian0226@hotmail.com